Lionel TomStudent der Theaterpädagogik
Meine Haut ist wie ein Spannbettlaken. Wie ein Verraeter auf der Streckbank, der
wegen der brutalen Einwirkungen der letzten Stunden zu zerreissen droht. Bei mir
handelt es sich bei den brutalen Einwirkungen um die Sonne, die uns am gestrigen
Strandtag das Hirn zerschmort hat. Ansonsten ist es bisher alles andere als brutal.
Keine Ueberfaelle, keine Erschiessungen, no problemo. Nicht zuletzt, weil unsere
liebenswerten Gastgeber_innen uns aufopferungsvoll, wie ein rohes Ei behandeln.
Inzwischen sind wir allerdings alles andere als roh, denn Hummer beschreibt am
ehesten das Aussehen der einstmals winterweissen, europaeischen Pickelgesichter. Und
das, obwohl wir vor wenigen Tagen noch am Frankfurter Flughafen festsaszen, weil der
Jet enteist werden musste. Laecherlich! Das einzige Eis, das hier von Bedeutung ist,
schwimmt im Cuba Libre oder rutsch uns kuehlend den Nacken herunter.
Neid kommt nur nachts auf, wo wir uns ein wohl beheiztes Schlafzimmer wuenschen,
wenn die unregulierbare, Hotel-eigene Klimaanlage den Raum in eine Kuehlkammer fuer
Rinderhaelften verwandelt.
Maracaibo ist eine Mischung aus Gemuetlichkeit, funktionierendem Chaos, pfeifenden
Bauarbeitern, dem Geruch von billigem Treibstoff und ein Wettbewerb um das staerkste
Soundsystem. Ploetzlich sind die Ueblichen Schikanen, wie Nachbarn, die wegen
Lautstaerke die Cops rufen, weit weg und es eroeffnen sich neue Horizonte: Ein
Fruchtshake auf der Strasse, eine Runde Frisbee in der Sonne, eine Kneipe mit
ausschliesslich einem Getraenk: eine Sorte Bier.
Zum mittag gibt es Huenchen (Pollo) mit Reis, das unser leitender Gastgeber Pollo
organisiert hat und Hotdogs, bei denen das Wuerstchen kleiner ist als das Brot!
Die Zeiten des Grosswurst-Kapitalismus sind vorbei, ab sofort wird nicht mehr
hemmungslos dem Aas gefroent und inzwischen gibts sogar vegetarische
Verpflegungseinheiten.
Nach vielen Diskussionen mit noch mehr Uebersetzungen, bei denen vor allem Koerper-
und Fantasiesprachen nicht zu kurz kamen, haben wir inzwischen Gruppen und Konzepte
fuer die kuenstlerische Arbeit gefunden. Manchmal mussten wir uns bei dem Verlangen
bremsen unser schuldeutsches Strukturverlangen durchsetzen zu wollen. Wir sind nicht
Columbus und wenn uns die Venezuelaner_innen im Mai besuchen, bleibt genug Zeit
unsere Liebe zur Ordnung zu praesentieren. Ach ja, macht euch auf einiges gefasst.
Wenn die kommen, verhaengen wir den Ausnahmezustand. Denn so toll wie wir hier
behandelt werden, muessen wir schon den Hai an Land gehen lassen, um dem gleich zu
kommen.
Als Projekt- und Ausstellungsraum dient uns eine Plexiglas-Nutz-, Souvenir- und
Werbeschilderfirma in der wunderschoenen calle del arte. Bei einem Kunstpool von
ueber 30 Amigos, kommen so einige Skills zusammen. Darum wird diese Fabrik mit
Farbe, Licht, Masken, Installationen und Performance ein Kunsttempel werden, der den
Besucher_innen die Flip-Flops auszieht. So zumindest der Plan...
Es ist ein Genuss, dass der Teil meines Gehirns, der fuer den Alltag zustaendig ist,
entweder auf der Dachterassenparty ertrunken ist, oder beim Druckverlust im Jet
platzte. Zuminstest zaehlt hier nur das was da ist. Mal abgesehen von diesem Blog...
grrrr... verdammt! Also, genug davon. Lest eure Emails, checkt die News, geht vorm
Wochenende zu Rewe und vergesst nicht die nassen Klamotten in der Maschine. Bei
Gelegenheit, kommt auf jeden Fall mal hier her. Ist schoen hier.
bis denne,
lio
Kommentare