Erfindungswahn!

Das Segelluftschiff des "Ingenieur von Tarden"

Stellen wir uns einmal vor, 1911 erhebt sich aus dem Garten der Psychiatrie der Charité Berlin behände ein Luftschiff. Umringt von eine Gruppe Männer schraubt es sich Meter um Meter in die Höhe, bis es erst die steinernen Grenzen des Gartens, dann auch die Mauern der Klinikgebäude unter sich zurücklässt. An Bord steht Arthur von Tarden, jener Ingenieur, dessen Erfindungsgeist und beharrlichen Einsatz im Dienste der Sache sich die Jungfernfahrt des sportlichen Luftschiffes verdankt. Ob es die hochgesteckten Erwartungen erfüllen, ob es in wenigen Minuten den Luftraum von Berlin nach New York durchqueren, ob es sich gegenüber den Konkurrenzmodellen des Grafen von Zeppelin durchsetzen wird? Diese Fragen müssen offen bleiben, ebenso wie diejenige, was den im Garten zurück gebliebenen Pfleger:innen, Ärzt:innen und Mit-Patient:innen durch den Kopf geht, während sie ihm nachschauen. Wohin wird es von Tarden verschlagen, sobald er die Charité verlassen hat? Wir können es nicht wissen. Wir können darüber nur spekulieren – und fabulieren.

Alles, was wir über die Geschichte des von Tarden und über seine Erfindungen wissen, findet sich zwischen den Deckeln eines Krankenjournals, einer zwischen Dezember 1908 und August 2010 aufmerksam geführten Krankenakte, zu der die behandelnden Ärzt:innen, das Tag und Nacht tätige Pflegepersonal, aber auch der Patient selbst Dokumente beitrugen. Die einen dokumentierten vielfältige Symptome körperlichen und seelischen Schmerzes, durchwachte Nächte und Halluzinationen eines in mehrfacher Hinsicht auffällig gewordenen Drechslers. Die anderen behaupteten hingegen die Geschichte eines insbesondere vom Klinikpersonal verkannten und um seine Reputation kämpfenden Ingenieurs. Zu letzteren gehörten einige Skizzen und Photographien seiner Erfindungen wie auch unermüdliche Eingaben an das Berliner Patentamt, dem er ebendiese zur Prüfung vorlegte.

Diesen auffindbaren Spuren sind wir in einem Seminar lesend und schreibend nachgegangen. In enger Kooperation mit dem Berliner Medizinhistorischen Museum, das dieser Fallgeschichte eine eigene Sonderausstellung widmet, sowie der Bibliothek des Medizinhistorischen Seminars der Charité, das uns Einblicke in die historische Akte gewährte, konnten wir den Spuren von Tardens und seinen freien Erfindungen folgen. Die Fallgeschichte war uns Einfallstor in eine intensive Auseinandersetzung mit einer historischen Phase vor dem Ersten Weltkrieg, in der Erfindern technisch und sozial der Weg nach oben nahezu unbegrenzt offen schien. Sie führte uns zur Entstehung der Luftschifffahrt wie auch in den restriktiven Raum der Psychiatrie um 1900, in dem nicht nur der Erfindungswahn erfunden, sondern auch hin und wieder dem sich entwerfenden Geist Möglichkeits- und Spielräume eröffnet wurden. Entstanden sind aus all dem Imaginationen, Reflexionen, Ideen und Texte, die dieser Fallgeschichte Spuren vielfältiger Not, aber auch einer beeindruckenden Selbstbehauptung ablauschten.
(Céline Kaiser)

 

Textbausteine der Studierenden:

„Ich heiße nicht X, ich bin Ing. v. Tarden, ich bitte, sich das endlich merken zu wollen." (aus der Akte)

Total genervt. Lass mich endlich in Ruhe. Ich muss weiterentwickeln. Das klappt schon, keine Angst. Ich will das unbedingt machen, das ist eine brillante Idee. Weil ich der Ingenieur bin und eine super Idee für die Menschheit entwickelt habe. Ich brauche Material und Ruhe. Leichtes Material. Ganz leichtes Material. Stoffe, blaue Stoffe, mit einem satten blauen Farbton. Direkt in mein Zimmer soll es geliefert werden. (Raphael Follardt)

Es ist, als würde der Wind in einer unbekannten Sprache flüstern.
Die Worte, die sich in meinem Innern formen, fallen wie Tropfen in den Ozean, verloren, bevor sie die Oberfläche berühren.
Jeder Versuch, die Stille zu durchbrechen, endet in einem Echo, das nicht mein eigenes ist.
Ich spreche, doch die Luft um mich versteht nichts von dem, was ich will.
Meine Gedanken entgleiten in eine Dämmerung zwischen Worten und Schweigen.
Wie kann man einen Gedanken in ein Herz legen, das nie die gleiche Sprache spricht?
Wie kann man ein Gefühl in den Raum werfen, wenn es keinen Widerhall findet?
Ich bin ein Fragment, in einem Mosaik aus ungesagten Wahrheiten.
Mein inneres Bild ist zersplittert, während die Welt in einem Bild bleibt, das ich nicht ergreifen kann.
So verwebe ich mein Schweigen mit den Fäden der Unverständlichkeit. Suche nach einem Ort, an den meine Worte wirklich gehören.
(Luisa Ehmke)

Bruchstückhafter Tag. Schwarze Tinte prägt ein Bild. Durchscheinende Schicht.
(Stefanie Heinrich)

Freiheit des Denkens, ein Licht, das die Himmel durchbricht. Träume als Heilung, lebendig in stillen Kämpfen. Erkennt mich, so wie ich bin.
(Arash Tahouri)

Ansprechpartner/in
Prof. Céline Kaiser
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