Lionel TomStudent der Theaterpädagogik
wir sitzen in Merida am Busbahnhof und koennen nicht dahin, wo wir hin wollen. Aufgrund der aktuellen Gefahrenlage in Venezuela fahren heute keine Busse. Vielleicht morgen... Wenn hier keine Busse fahren, geht mensch nicht einfach zum Bahnhof, sondern mensch sitzt fest. Die Wahlen sind vorbei, fast 80 Prozent Wahlbeteiligung im ganzen Land. Etwas mehr als die Haelfte der Stimmen gehen an den Chavez-Nachfolger Maduro. Die Strassen Meridas haben an einigen Stellen noch schwarze Brandflecken von den gestrigen Ausschreitungen. Muellabfuhren raeumen Glassplitter weg, Maduros Gesicht fordert immer noch an zahlreichen Waenden zum waehlen auf. Eigentlich sieht sonst alles normal aus, nur eine Menschenmasse in der Strasse zeigt, dass hier etwas rumort. Eine spontane Demonstration der Capriles-Anhaenger_innen fordert nach wie vor einen Wechsel und jetzt eine Neuzaehlung der Stimmen. Viele sprechen von Wahlbetrug, von Diktatur. Der Oppositionskandidat erkennt das Wahlergebnis nicht an, mobilisiert seine Unterstuetzer_innen und bekommt Rueckhalt aus den USA. Auch Maduro mobilisiert seine Anhaenger_innen, ordnet nach dem Wahlsieg eine Woche Feierei an und warnt die Opposition vor Putschversuchen. Inzwischen haben die Ausschreitungen in den Grossstaedten Tote zur Folge. Die Polizei geht mit Traenengas und den ueblichen Mitteln zur Bekaempfung von Aufstaenden gegen Demonstrant_innen vor. Viel gefaehrlicher sind aber die verfeindeten Lager gegeneinander. In der Nacht nach dem Wahlsieg lernen wir auf der Strasse eine feiernde Gruppe von militanten Chavisten kennen. Sie gehoeren einer Art Inland-Guerrilla an, eine Truppe von bewaffneten Chavisten, die sich als Verteidiger der Revolution beschreiben. Ein etwa 40-jahriges Mitglied, bricht in Traenen aus, als er Chavez huldigt, ein anderer beschreibt, wen es zu toeten gilt. Ein Fanatismus, wie er zu einer Diktatur passen wuerde. Trotzdem teile ich nicht die Meinung, dass es sich hier um eine Diktatur handelt. Die Opposition demonstriert auf der Strasse, jeden abend um acht Uhr klopfen Regierungsgegner auf Pfannen um ihren Unmut laut zu machen, die Menschen koennen sagen was sie denken und es auch offen zeigen. Genauso galubhaft ist es, dass bei den vielen Anhaengern des Chavez und der "bolivarischen Revolution", die das Stadtbild praegen, tatsachlich gut 50 Prozent fuer den Sozialismus des 21. Jahrhunderts gestimmt haben. Weniger Demokratisch sind aber die Mittel, die den einzelnen Lagern zur Verfuegung stehen. Eine auf Chavez zugeschnittene Verfassung, in der sich jetzt Maduro bewegen kann, Ein stark uebergewichtiger Wahlkampf der Roten und eine sehr praesente Mediendominanz der Chavist_innen, tragen nicht gerade zur demokratischen Verstaendigung der gespaltenen Bevoelkerung bei. Es sieht so aus, als koennte Maduro die Ideologie von Chavez und die gesetzten, auf dem Papier vielversprechenden Ideale verteidigen, wenn er in Zukunft ein paar Schritte auf die Kritiker und die Opposition zugeht. Wenn nicht, werden sich die Auseinandersetzungen wohl weiter auf die Strasse tragen.
Schlecht fuer uns, denn wir wollen weiter fahren und Theater in der Strasse machen. Im Moment heikel, weil das Theater hier groesser ist.
Gerade eben haben wir doch ein paar Plaetze in einem Bus ergattern koennen und kommen wohl zumindest nach Valencia. Eigentlich wollten wir nach Maracai, um von dort nach Choao zu fahren und noch ein paar Tage mit Strand und Theater zu verbringen, bevor der Rueckflug in Caracas ruft. We will see....
bis denne, lio
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